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Rede von Jan Philipp Reemtsma

Jan Philipp Reemtsma

"Wie hätte ich mich damals verhalten?"

Im folgenden ein Auszug aus einer Rede von Jan Philipp Reemtsma. Sein Thema: "Wie hätte ich mich damals verhalten?". Er sprach im Rahmen einer Vortragsreihe an der Universität München, die unter dem Motto stand: "Wie vergangen ist das vergangene Jahrhundert?"
Zur Person: Jan Philipp Reemtsma, Hamburger Millionen-Erbe, ist Gründer und Leiter des von ihm finanzierten Hamburger Instituts für Sozialforschung. Er war 1996 entführt und gegen ein Lösegeld von 15 Millionen Euro freigelassen worden. Schlagzeilen machte er auch durch die umstrittene Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944". Er setzt sich in der Öffentlichkeit immer wieder aktiv für eine verantwortungsbewusste und offene Diskussion über die Verbrechen in der Zeit des Dritten Reichs ein.

Wir sind keine Helden Wir sind mehrheitlich keine Helden, und wir sollten einander nicht zumuten, welche sein zu müssen. Nicht einmal Helden sollten von anderen fordern, welche zu sein. Die Bewunderung, die wir Helden, solchen, die ihr Leben für andere wagen oder geben, zollen, ist Ausdruck des Wissens, dass wir eben in der Regel keine sind. Es ist nicht nur sinnlos, eine Norm aufzustellen, der man in der Regel nicht folgen kann, sondern wir würden mit solchen Ansprüchen auch unser Leben zur Hölle machen. Die Frage: "Warum habt ihr nicht Widerstand geleistet?" - wo sie denn tatsächlich so gestellt worden ist oder wird, und wo sie tatsächlich Widerstand unter Einsatz des Lebens meint - ist eine Zumutung, und eine Zumutung, die ohne Gesichtsverlust durch ein ruhiges: "Weil ich Angst um mein Leben hatte, weil ich kein Held war" beantwortet werden kann.
Widerstand leisten? Gleichwohl betreten wir hier - die deutschen Diskussionen im Blick - schwieriges Terrain. Es gibt die nach wie vor vitale Legende, dass wer nicht habe mitmachen wollen, Widerstand habe leisten müssen. Das ist - von wenigen möglichen Ausnahmen abgesehen - nicht nur Unsinn, sondern auch eine bequeme Ausrede. Es sind nur sehr wenige Taten, deren Unterlassung mit dem Tode bedroht wurde. Die Desertation gewiss; nicht die Weigerung, Zivilisten zu erschießen. Wer Häftlingen zur Flucht verhalf, riskierte sein Leben. Nicht der, der sich weigerte Wachmann in einem KZ zu sein....
Ob ich etwas tue oder nicht Es ist ein Unterschied, ob ich eine Tat tue oder jemand anders. Der Satz: "Hätte ich es nicht getan, hätte es ein anderer getan" verkennt überhaupt den Sinn der Moral. Wenn ich vor einer Entscheidung stehe, geht es nie darum, ob irgendwer anderes etwas tut, sondern einzig und allein darum, ob ich etwas tue oder nicht. Es ändert an der Bewertung meiner Handlung nichts, ob, wenn sie unterblieben, jemand anderes etwas Ählnliches tun würde. Es geht bei der Frage, ob Handlungen moralisch gerechtfertigt sind oder nicht, um richtig oder falsch, meinethalben um gut oder böse, nicht um erfolgreich oder weniger erfolgreich.
Verhindern, dass ein anderer zum Mörder wird Wenn einer sagt: "Hätte ich nicht geschossen, hätte es ein anderer getan", so versteht er nicht, worum es geht, wenn eine Entscheidung nach moralischen Kriterien gefällt werden soll. Es geht darum, ob ich schieße (oder was immer) oder nicht. es geht nicht darum, ob ich durch meine Weigerung, zu schießen, jemandem das Leben gerettet habe. Meine Entscheidung bezieht sich auf den Umstand, dass es mir nicht gleichgültig ist, ob ich ein Mörder bin oder nicht. Das habe ich zunächst zu entscheiden. Natürlich kann ich darüber hinaus auch versuchen, ein Leben zu retten. Ich kann versuchen zu verhindern, dass ein anderer zum Mörder wird. Ich kann ein Held werden und mein Leben dafür einsetzen, dass kein Mord geschieht. Aber die Ausrede, weil man von mir nicht verlangen könne, ein Held zu sein, so müsse man mir auch verstatten, ein Mörder zu sein, ist monströs....
Das Risiko dieser Frage "Wie hätte ich mich verhalten?" Wie sehr zu Unterscheidendes diese Frage beziehungsweise die jeweilige Antwort auf sie bedeuten kann, erfährt man, wenn man konkret wird. Was machten wir denn mit einem, der uns gestände, er sei nicht sicher, ob er sich nicht auch freiwillig zu einem Kommando, das Frauen und Kinder zu erschießen antritt, gemeldet hätte? Mit einem, der uns gesteht, er hätte vielleicht die Nachbarn bei der Gestapo denunziert, weil er sie sowieso nicht hätte leiden können? Und so weiter. Wir würden solche Geständnisse kaum als Ausweise bewunderungswürdiger Ehrlichkeit empfinden, sondern als peinliche Offenbarungen zutiefst amoralischer oder boshafter Gesinnungen. Wir würden ihm allenfalls bedeuten, das könne er auf der Couch mit seinem Analytiker abmachen, aber in eine öffentliche Diskussion gehört das nicht. In solchen Diskussionen erwarten wir, dass bestimmte Normen und Werte nicht in Frage gestellt werden und auch nicht indirekt durch den zu lauten Zweifel eines Menschen an seinen Fähigkeiten, der Versuchung zu widerstehen, sie in den Wind zu schreiben. Das Risiko der Frage "Wie hätte ich mich verhalten?" ist, dass sie mit all ihrer Signalwirkung am falschen Ort gestellt wird....

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© Wolfgang Hieber 1998-2009