Die Heimat auf der Zunge tragen
Jost B., 29 Jahre, Redakteur aus Emmendingen im Schwarzwald
"Ob man will oder nicht:
Wenn man mit einem Dialekt aufgewachsen ist, ist man an jedem Ort mit seiner
Heimat verbunden. Schließlich trägt man sie ja auf der Zunge.
Lustigerweise habe ich so meine Heimat erst entdeckt, als ich von daheim
weggezogen bin - weil ja die Leute dort, wo ich jetzt wohne, anders reden.
Ich habe mich zu einem leidenschaftlichen Vertreter meines Ursprungs entwickelt,
und jetzt verstehe ich Leute, die immer so einen großen Wert auf
ihre kulturelle Identität legen. Mit Akzent sprechende Menschen sollten
aber auf die Situation achten: Im Seminar kommt Schwäbisch nicht so
gut an, und die Nachrichtensprecher im bayerischen Radio müßten
auch noch mal einen Sprecherkurs belegen - Dialekt im Radio klingt einfach
fürchterlich ;-)!"
Diese Leute kommen mir etwas bäuerlich vor
Ulf S., 17 Jahre, Gymnasiast, München
"Bei uns am Gymnasium wird nicht viel Bayrisch gesprochen. Die Kinder, die Bayrisch sprechen, die
sind meist nicht so gut in der Schule, vor allem nicht so gut in Deutsch.
Auf Hauptschulen und Berufsschulen, da sprechen die Kinder eigentlich sehr
viel Bayrisch. In der Früh, an meiner U-Bahn-Station, da ist eine
Berufsschule. Und die Mädchen da, die sprechen ganz "geschertes" Bayrisch.
Wenn jemand Bayrisch spricht, finde ich es teilweise schön.
Aber diese Leute kommen mir etwas bäuerlich vor.
Geistig ein bißchen rückständig. Das Elternhaus von
denen, da denkt man dann gleich, da hängt der Franz-Josef noch irgendwo.
Pro Klasse gibt es bei uns einen Bayern. Und das ist häufig auch der
Clown."
Das ist so vertraut, ich fühle mich gleich zu Hause
Johannes A., 27 Jahre, Journalist, Köln
"Ich höre in den Städten, in denen ich gelebt habe, den Dialekt immer gerne.
Berlinerisch, immer sehr gern. Das finde ich eine ganz angenehme Sache.
Und Kölsch eigentlich auch.
Nicht dieses ganz krasse, aber hier der normale Tonfall. Ich freue
mich auch jedesmal, wenn ich zu Besuch zu Hause bin. Das erinnert gleich
an die Kindheit. Das macht Spaß. Und an anderen Orten: Weil man die
Leute versteht, im Gegensatz zu manchen anderen Leuten. Ich finde es o.k.,
aber ich persönlich spreche das nicht und lebe es nicht aus."
In den Karnevalswochen sehr gefragt
Uwe T., 32 Jahre, Musiker, Köln
"Hier in Köln wird Dialektsprechen gerade im Karneval sehr gepflegt.
Gruppen wie "De Höhner" oder "Bläck Fööss". Die sind dann ganz groß in dieser
Zeit, in diesen Karnevalswochen. Sehr gefragt bei allen Veranstaltungen.
Andere Gruppen wie die Kölner "BAP" oder auch die bayrische "Biermösl
Blosn" gehören nicht in die Ecke. Das sind sehr spannende Volksmusik-Projekte.
Die sind oft musikalisch auch ganz prima, und mit ihren Texten nehmen sie
oft auch ganz kritisch den Alltag aufs Korn."
Öcher Platt - Die Jugendlichen haben leider wenig Interesse
Christa W., 45 Jahre, Geschäftsfrau in Aachen
"Das Öcher Platt ist absolut "in". So nennen wir unseren Dialekt, wie er in Aachen gesprochen
wird. Kürzlich wurde ein Vortrag in einer Klinik hier auf "Öcher
Platt" gehalten. Ich habe mich köstlich amüsiert. Ich war erstaunt,
daß sogar unser Oberbürgermeister die gesamten zweieinhalb Stunden
anwesend war. Besonders die Älteren sprechen den Dialekt immer, ohne
Ausnahme. Er ist auch nicht verpönt. Aber natürlich geht es in
meinem Beruf nicht, daß ich mit Leuten, die von auswärts kommen,
Öcher Platt rede. Ich selbst spreche es nicht so gut. Es ist hochangesehen
und wird auch sehr gefördert. Auch viele Bühnen bringen Stücke
auf Öcher Platt. Die Karten sind so begehrt, daß manche von
morgens 5 Uhr an am Vorverkauf anstehen. Unser Bürgermeister tritt
in den Karnevalsveranstaltungen auf und spricht dann Öcher Platt.
Der hat riesen Spaß daran. Die Jugendlichen haben leider weniger
Interesse, Dialekt zu sprechen. In den Schulen wird das nicht mehr gepflegt.
Die bekommen das nur zu Karneval mit. Kompliziert wird die Sache, daß
Platt nicht gleich Platt ist. Es gibt das Steuberer Platt, das Eilendorfer
Platt, sie alle legen großen Wert auf ihre eigene Region. Und sie
sind wirklich unterschiedlich, Man hört sofort, wenn jemand Platt
redet, ob der aus Burtscheid kommt, aus Eilendorf oder aus Gerst-Stolberg."
Ich bin oft ausgelacht worden
Eva I., 39 Jahre, Lehrerin, Nürnberg
"Wenn ich mich zurückerinnere:
Meine Erfahrung mit Dialekt ist eine sehr zwiespältige. Einerseits
habe ich mich immer sehr wohl gefühlt mit meinem Dialekt. Mein Vater
hat ihn zu Hause gesprochen. Ich bin damit aufgewachsen. Und ich selbst
habe ihn gern gesprochen. Aber schon bei meinem Vater konnte ich sehen:
Sobald er beruflich mit Leuten sprach, oder sobald wir an einem anderen
Ort in Deutschland waren, hat er nur Hochdeutsch gesprochen. Dialekt, das
war mehr für das Private, für zu Hause. Und außerhalb,
da wurde umgeschaltet.
Ich habe auch noch genau
in Erinnerung, daß ich früher oft ausgelacht wurde. So war ich
einmal zu Besuch bei Bekannten, und die haben mich ständig gehänselt.
Sie versuchten, die Worte in meinem Dialekt nachzusprechen, haben mich
direkt nachgeäfft und ausgelacht. Das wirkte auf mich sehr verletzend.
Seitdem versuchte ich immer,
meinen Dialekt möglichst zu unterdrücken. Umso befreiender ist
es, wenn ich unter Leuten bin, die meinen Dialekt sprechen und bei denen
ich sicher weiß, daß sie mich so akzeptieren, wie ich eben
spreche." |